FOLKE KÖBBERLING |
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Nachbarn auf Zeit Kunst im Stadtraum, Berlin, 2019 (en below)
Den Auftakt der Arbeit Nachbarn auf Zeit bildete eine Schafsdemonstration mit knapp 200 Schafen vom Haus der Kulturen der Welt, vorbei an Bellevue, über den Großen Stern zum Hansaplatz. Mit dieser Demonstration, an der über 500 Menschen teilgenommen haben, wurde auf die prekäre Lage der Wanderschäfer*innen aufmerksam gemacht und zugleich auf die fatale Situation in unseren Städten, in der Autos mehr Platz gegeben wird als Menschen, geschweige denn den Tieren. Die Demonstration fand in Kooperation mit dem Schäfer Knut Kucznik statt. Mit dabei waren auch die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL), der Bundesverband Berufsschäfer (BVBS) und der Schafzuchtverband Berlin-Brandenburg. Eine inhaltliche Bezugslinie zwischen den Schafen und dem Hansaplatz ist das Motto der Internationalen Bauausstellung (Interbau) von 1959, in der das Hansaviertel als „Stadt von Morgen“ konzipiert wurde. Wie sieht die Stadt von morgen angesichts von Klimawandel und grassierendem Artensterben aus? Dabei diente die Schafherde als Impulsgeber und Denkfigur dafür, wie man urbane Grünflächen klimafreundlich nutzen und gestalten könnte. Aus diesem Grund verblieben nach der Demo fünf Schafe für einen Monat im Hansaviertel – als Nachbarn auf Zeit. Die Wiese neben der Hansabibliothek wurde dazu als Schafsweide mit Stall umfunktioniert. Die Betreuung der Schafe erfolgte durch Anwohner*innen, die Patenschaften für die Tiere übernahmen und diese fütterten, morgens auf die Weide und abends wieder in den Stall brachten. „Bei den Schafen“ begegneten sich die Nachbar*innen zum Teil neu oder lernten sich überhaupt erst kennen. Die Idee des „sozialen Grüns“ – einem Kerngedanken der Interbau – wurde auf diese Art wiederbelebt und die Grünfläche als Ort der sozialen Interaktion genutzt. Neben den Schafen brachte Folke Köbberling auch die 400 Kilogramm Rohwolle mit, die den 200 Schafen im Frühjahr geschoren worden war. Mit der Wolle wurde der Stall verkleidet – optisch ein archaisch anmutender, skulpturaler Gegensatz zur modernistischen Strenge der Architektur am Hansaplatz. Die Wolle wurde dann in drei öffentlichen Workshops verarbeitet. Dabei wurde über die Eigenschaften des Materials Wolle einerseits und den fatalen Wertverlustes des Rohstoffs Wolle andererseits diskutiert. So ist Wolle jenseits der Nutzung für Bekleidung auch ein nachhaltiges Material für Dämmung oder Akustik. Aufgrund der mangelnden Nachfrage für Rohwolle ist diese ökonomisch derzeit allerdings ein Verlustgeschäft und die Schafschur und Entsorgung der nicht verkauften Wolle teurer als der Gewinn. Köbberlings Arbeit befragt konzeptuell, rechtlich, ethisch, was Kunst im Stadtraum sein kann. Fallen die Schafe etwa unter §11 des Tierschutzgesetzes, weil sie „zur Schau gestellt werden“ oder sind die teilnehmenden Anwohner*innen das eigentliche Kunstwerk und die Schafe grasen nur? The kick-off of Folke Köbberling’s work Nachbarn auf Zeit(Temporary Neighbours) consisted of a sheep demonstration with nearly 200 sheep which started at the House of World Cultures (HKW), passed Bellevue and the Berlin Victory Column, and ended at Hansaplatz. The demonstration drew attention to the precarious situation of itinerant shepherds, as well as the dire condition of our cities, where cars are given more space than humans, let alone animals. The demonstration took place in cooperation with the shepherd Knut Kucznik. The Federation of German State Sheep Breeding Associations (VDL), the Federal Association for Occupational Shepherds (BVBS) and the Sheep Breeding Association Berlin-Brandenburg were also present. The motto of the International Building Exhibition (Interbau) of 1959, which conceived the Hansaviertel as the "City of Tomorrow", draws a connection between the sheep and the Hansaplatz (the district’s central square). What does the city of tomorrow look like in the face of climate change and rampant species extinction? Five sheep remained in the Hansaviertel for a month after the demonstration - as temporary neighbors - to draw attention to this question. The lawn next to the Hansa Library was converted into a sheep pasture with a stable. Local residents took care of the sheep: they became sponsors of the animals and fed them, took them to the pasture in the morning and brought them back to the barn in the evening. While “taking care of the sheep" the neighbors often got to know each other for the first time, or connected on another level. The idea of the "social green" - a core idea of the Interbau - was revived in this manner, as the green space was turned into a place of social interaction. In addition to the 200 sheep, Folke Köbberling also brought along 400 kilograms of their raw wool that had been shorn in the spring. The stable was clad with wool - and therefore turned into a seemingly archaic, sculptural contrast to the modernist rigor of the square’s architecture. The wool was worked in three public workshops, which also discussed the properties of wool as a material, as well as its fatal loss of value. Beyond its use for clothing, wool is also a sustainable material for insulation or acoustics. However, due to the lack of demand for raw wool it is currently not a profitable business: the sheep shearing and the disposal of unsold wool are more expensive than the gains. Köbberling's work questions the potential of art in urban space from a conceptual, legal and ethical point of view. Do the sheep fall under §11 of the Animal Protection Law because they are "on display"? Are the participating residents the actual work of art, while the sheep are merely grazing? |
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