FOLKE KÖBBERLING |
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Einführungsrede von Anne Mueller von der Hagen für Folke Köbberlings Ausstellung „DEWOOL“, die vom 14. Juni bis 19. Juli 2018 im Allgemeinem Konsumverein Braunschweig stattfand
Die Bezeichnung Ovis Orientalis umfasst zwei Untergruppen, das Uriale und das Mufflon. Diese Wildschafe wurden schon zu Urzeiten gejagt. Das Fleisch wurde gegessen und aus den Hörnern wurden Waffen hergestellt. Später, vor etwa zehntausend Jahren wurden die Schafe domestiziert. Zuerst wahrscheinlich in Anatolien und im Persischen Raum, vor achttausend Jahren dann auch im westlich europäischen Raum. Seit fünftausend Jahren geben sie nicht nur Nahrung und Waffen, sondern auch Wärme durch die Wolle. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden aus den kurzhaarigen Schafen Wollknäule, die geschoren werden mussten. Als etwa 200 Jahre vor Christi Geburt die Geschichte über Abraham und Isaak aufgeschrieben wurde, gab es also eine lang währende Vertrautheit mit Schafen. Abraham wird von Gott aufgefordert, seinen erstgeborenen Sohn zu opfern. Das Messer war an die Kehle des gefesselten Jungen gelegt, da weist ein Himmelsbote den Vater an, anstelle des Sohnes den Widder, der sich mit seinem Horn im Busch verfangen hat, zu opfern. Diese Geschichte gilt den drei monotheistischen Buchreligionen als Schlüsselgeschichte der Hingabe und des Vertrauens in die Allmacht Gottes. Es spricht daraus auch ein Vertrauen in den Logos der Schöpfungsordnung, der sich zum Beispiel in der regelmäßigen Wiederkehr des Frühlings zeigt – zum Zeitpunkt der Niederschrift fiel der Frühlingsanfang, also der vertraute und erhoffte Neubeginn, in die Zeit des Sternbildes „Widder“. Schafe, Widder und besonders Lämmer, Unschuldslämmer, spielen in allen drei Schriftreligionen im Ritus der Feste und in der Ikonographie eine wichtige Rolle. Im Christentum zum Beispiel gilt die Abrahamsgeschichte als vorausweisend auf den Opfertod Christi. In zahlreichen Darstellungen finden wir „das Lamm Gottes“ und aus dem Neuen Testament ist die Rede vom „Guten Hirten“ bekannt. Dass aus dem ältesten Haustier – Ziege, Hund und Rind sind fast genauso lang in Begleitung des Menschen – im Verlauf besonders des 19. Jahrhunderts „dumme Schafe“ werden konnten, zeigt vielleicht schon unseren Umgang mit deren Ressourcen. Folke Köbberling verwendet für ihre Arbeiten vor allem Weggeworfenes, Abfälle, Geschenktes und scheinbar Unbrauchbares. Auf diese Weise bergen ihre Arbeiten immer kommunikative und soziale Momente, die zur Idee einer künstlerischen Ästhetik des Widerstandes gegenüber einer Verkonsumierung des Öffentlichen, einer Verschwendung unserer Ressourcen gehören. Folke Köbberling, diese architektonische Bildhauerin, wenn man das einmal kurz so sagen darf, diese Künstlerin der sozialen und nachhaltigen Momente, fand im Konsumverein eine Raumkiste, also eine architektonische Setzung vor. Zudem war diese Raumkiste, selbst eine Wiederverwendung, noch ideell aufgeladen mit Fragen des individuellen Wohnraums, der Privatheit gegenüber einer Vergemeinschaftung. Die Begegnung mit Schäfern und deren Klage, dass sie die Wolle ihrer Schafe kaum noch loswürden, wurde für Folke Köbberling zum Ausgangspunkt der Verwandlung des Galerieraums. In Deutschland, überhaupt in Europa werden Schafe nicht mehr zur Wollgewinnung gehalten. Aus Produkt einer langwierigen Züchtung ist lästiges Beiprodukt geworden. Europäische Schafe sind Fleisch- und Milchlieferanten und dienen vor allem dem Landschaftsschutz. Von zwei Biohöfen im Braunschweiger Land konnten wir eine Tonne Rohwolle abholen. Aus dieser Tonne entwickelte sich das skulpturale Ereignis, das unsere Sinne jetzt affiziert. Folke Köbberling verwandelt die Überlegungen und Recherchen zur Nutzung natürlicher Ressourcen, zu Wärme und Dämmung, zum Widerstand gegen Verschwendung in eine begehbare Skulptur, in ein ästhetisches Gebilde, das diese Gedanken birgt, erfahrbar macht und zugleich darüber hinaus weist: Es entstand eine olfaktorische Behausung, eine warme, lebendige, aufregende Höhle, wohltuende und widerspenstige Reaktionen provoziert. Die Verwandlung des Raums, die Verwandlung der Wolle fordert heraus zum Nachdenken über die ästhetische Nutzbarmachung des Verschwendeten, also zum Widerstand gegen den blinden Verbrauch. Zur Eröffnung während der Schafskälte, einem Wetterphänomen, das für die frischgeschorenen Jungtiere sehr unangenehm werden kann und sie sich wie die Menschen nach Wollwärme sehnen. |