FOLKE KÖBBERLING
  • home
  • Works
  • cv
  • News
  • Texte
  • Lehre
In Gedenken an Martin Kaltwasser, einen unermüdlichen Menschen, meinen langjährigen Partner im Leben und in der Arbeit, der am 29.10.22 beim Laufen im Tiergarten zusammenbrach und am 30.10.22 in der Charité verstorben ist. 
​

Martin hat mit 39 Jahren angefangen zu laufen. Von Null auf Hundert. Er war nicht so jemand den man als sportlich bezeichnen würde. In seiner Jugend war er in keinem Sportverein.
 
Er hatte im Radio gehört, damals hörte er immer Radio eins, wie jemand ein Lauftraining gewann um von null Lauferfahrung zum Maratathonläufer zu werden. Er nahm auch daran teil, kam aber nicht durch die Hotline.  Es spornte ihn an. Wie wird man in einem Jahr zu einem Marathonläufer?
 
Es war das Jahr 2004, als wir über Nacht ein Haus in der Gropiusstadt bauten und mit den Kindern dort eine Woche lebten. Im nächsten Jahr lief Martin seinen ersten Marathon an seinem 40. Geburtstag. Ich schenkte ihm das Buch „Mein langer Lauf zu mir selbst“ von Joschka Fischer. Joschka Fischer lief nur einen Marathon und hörte irgendwann auf, Martin lief bis zum Schluss.

​2005 bauten wir das Musterhaus am Martin Gropius Bau. Jan Gregor war sechs, Clara vier Jahre alt. Es war der 25. September, Martins 40er Geburtstag. Er lief an diesem Tag seinen ersten Marathon. Seit diesem Tag verbinde ich Martins Geburtstag mit dem Berliner Marathon. Martin kam Stunden zu spät zu seinem großen Fest, das wir auf dem Parkplatz des Martin Gropius Baus feierten. Die Gäste waren schon alle weg. Es war ihm egal. Er war glücklich. Wir schauten auf dem Parkplatz den Film „was nicht passt wird passend gemacht“. 

 
Laufen war neben der Kunst sein Leben. Er lief im Tiergarten, in Marfa, in Malibu, in Nova Huta, in Äthopien, in Vancouver, in Hamburg, in Guxhagen, in Graz, in Marl, in Olevano Romano, in Warschau. Er lief sogar in meinem T-Shirt. Köbberling Elektronik.  Er war kein Marathonläufer der Trophäen sammelte, sondern er nutzte die Zeit, um die Kunst, die Stadt, die Topografie auf andere Weise kennenzulernen.
 
2008 waren wir als Familie in England. Die Sommerferien hatten begonnen und am selben Tag starteten wir Amphis. Eine Struktur für gemeinschaftliche Veranstaltungen für das Wysing Arts Centre: 4 Meter hoch, andere sollten sich andocken. Als wir dort ankamen, meinte Martin, 4 Meter sei zu niedrig, wir bauen es 6 Meter hoch und 8 Meter breit.. Während des Baus regnete es jeden Tag. Es war der regenreichste Sommer Englands. Martin lief jeden Morgen neue Routen und wusste danach immer eine Antwort, wie wir weitermachen. Danach lernte er mit Jan Gregor deutsche Rechtschreibung. Irgendwann holte meine Schwester die Kinder ab. Wir schafften es nicht mehr. Ein zweigeschossiges Haus aus Fundmaterial nur mit Freiwilligen zu bauen und die Fürsorge der Kinder. Ich schaffte es bis 4 Uhr morgens zu arbeiten. Martin hielt zwei Tage ohne Schlaf aus. Die Engländer waren verblüfft. Wir hatten es geschafft zur Eröffnung das Haus fertigzustellen. Es steht noch immer. Die Sommerferien waren vorbei, wir machten noch Fotos morgens in der Dämmerung. 
 
2009. Wir hatten das Berliner  Senatsstipendium bekommen und lebten ein Jahr in Los Angeles. Zwei Monate davon waren wir Künstlerinnen in residence in Chinati Foundation in Marfa Texas. 
 
Dort gab es Arbeiten von Donald Judd, der das metrische System genutzt hat. Die Skulpturenreihe „untitled“ ist eine kilometerlnage Skulpturenreihe, behauptete ein lokaler Kunstexperte. Eine Arbeit die ein Kilometer ist, sieht man selten. Am Abend vor dem Lauf ging er die Skulpturenreihe nochmal ab und stellte fest, die Arbeit ist nur 950 meter lang. Also 50 m zu kurz. Am nächsten Morgen wurde der Startpunkt verschoben. Martin lief, ich filmte und wechselte jede Stunde die Kassette. Vier Kassetten brauchte es. Ein Generator brummte bei 3 Grad vor sich hin, um der Kamera den nötigen Strom zu liefern. Es war ein Dialog mit Judd. 42 Variationen seine Kunst zu sehen. Martin war enttäuscht, es kam niemand von der Chinati Foundation um ihn auf der Zielgeraden zu empfangen. Nur wir waren da. Clara hatte ihm eine wunderschöne Medaille gebastelt. Die Kuratoren wollten dass Martin die Szenen aus dem Film rausschneidet, wo er durch die Skulptur rennt. Betreten verboten. 
 
3 Monate später lief er den Malibu Marathon. Wir lebten in Culver City. Malibu war ca. 2 Stunden mit dem Bus entfernt. Wir hatten kein Auto in dieser Autostadt. Aber wir waren sicher, irgendwann wird diese Stadt eine Fahrradfahrerinnenstadt.
 
Am Tag des Marathons war es heiß. Martin hatte schon den Bus um 5 Uhr morgens genommen. 4 mal umsteigen. Clara und Jan waren Freiwillige auf der Zielgeraden. Sie reichten unbekannten Läuferinnen und Läufern die Medaillien.  Nach 3 1/ 2 Stunden kam Martin. Er war so glücklich, streckte seine Arme nach oben.  An diesem Tag sahen wir 6 Delfine im Meer. 
 
Viele Marathons folgten. 
Viele Turnschuhe folgten
Viele Morgen ohne Martin.
Martin war laufen. 1 stunde, 2 stunden, 3 stunden, 4 stunden.
Dann gab es Dehnübungen. Meistens auf der Küchenanrichte. Er war super gut gelaunt. Wir hatten Hunger. Seine abgelaufenen Turnschuhe ließ er neu besohlen. 
 
Nach LA wurden wir nach Äthopien eingeladen. Das Land der Langstreckenläufer. Martin versuchte 8 Stunden östlich von Addis Abeba ein Lehmhaus zu bauen. Er schickte Briefe von seinen Läufen auf der örtlichen Laufbahn. Es war das Ende unserer Liebesbeziehung.
 
Ich hörte von Katharina und Henning von seinem Marathonlauf im letzten Jahr. Was für eine tolle Idee Martin, einen Marathon im laufenden Verkehr, zwischen den fahrenden Autos, ich höre sie hupen und du lässt dich nicht davon beirren. Du rennst weiter.......